Der nicht nur von seinen Musen geliebte und von zahlreichen Nei-dern angefeindete Künstler dachte damals schon in gewaltigen Zeit-räumen. Wenn man ihn nach den Begabtesten seiner Branche fragte, dann kam eine klare Ansage: „Der Turner, der Friedrich, der Beuys, der Monet, der Reiter…..“ Im Pariser Centre Pompidou besuchten wir eine spektakuläre Dali-Ausstellung. Versonnen studierte Reiter ein 1931 entstandenes Bild: „Das Spektrum und das Phantom“. Der junge Kollege aus Erding wurde keineswegs von mangelndem Selbstbewusstsein geplagt. „Wenn die Wolken noch ein bisschen anders wären“, stellte er kategorisch fest, „dann wäre es ein Reiter.“ Inzwischen ist auch Gerhard Richter zur Reiterschen Walhalla der anerkannten Mal-Meister gekommen, aber Reiters Stil hat sich ja auch gewandelt.In meinen Erdinger Jahren wurden wir zu Freunden und danach, jenseits der SZ, flogen wir um die Welt, fuhren mit dem voll beladenen Kombi nach Frankreich, um Rudolf L. Reiters Ruhm zu mehren. Übrigens durfte er an der Seine auch im berühmten Atelier Gourdon Li-thos einer Mooslandschaft herstellen, die später in der Kunstwelt für Furore sorgten. Reiter hatte die Leiter zur großen Karriere erreicht. Scheu, aber selbstbewusst, testete er ihre Tragfähigkeit. Noch ein Beispiel. New York 1980. Da standen sie sich also gegen-über – Rudi und Woody. Der größte lebende Überträger von an-spruchsvollem Humor, dazu auch Regisseur, Produzent, Autor, und der fremde Sonderling aus dem fernen Erding, der ehrfurchtsvoll dem Dolmetscher lauschte. „Meine meisten Ideen haben auch religiöse Natur“, erklärte die zaundürre New Yorker Gallionsfigur, „sie haben mit dem Sinn des Lebens zu tun, und dem mächtigen Versuch durch Kunst Unsterblichkeit zu erreichen.“ Zwei der schwierigsten Charakteure trafen aufeinander, und standen sich sofort geistig nahe. Wahnsinn. Nur bei der Reinkarnation haperte es. Der Chronist erinnert sich an folgende Sätze des Comedian aus Brooklyn: „Ich habe schon oft an Selbstmord gedacht. Aber bei meinem Glück wäre das nur eine vorübergehende Lösung. Im übrigen glaube ich nicht an ein Leben nach dem Tod, obwohl ich Unterwäsche zum Wechseln mitnehmen würde.“ Wie es so ist bei Übersetzungen, kam die Quintessenz zu spät an. Die Zeit war abgelaufen zum Widerspruch. Egal. Dafür signierte Woody Allen die in New York entstandene Reiter-Edition „Victoria V“. Eine Hand wäscht die andere im Illusions-Gewerbe, und nicht nur da.Wer mehr wissen will über Reiters erste Gehversuche in New York, Toronto und Montreal, der sei auf einen Artikel aus der „Süddeutschen“ verwiesen: „Der Maler, der Barde und der letzte Clown“. Er zeigt, wie aufregend diese Zeit war, aufregender als jede andere.
Die New Yorker Tage werden wir beide nie vergessen. Mit einer großen Kunstmappe und Reiter-Kostproben zogen wir durch die Kunstszene, Klinken putzen von Galerie zu Galerie, vom Village bis zur Upper East Side. Damals formte sich Rudolf L. Reiter, wie wir ihn kennen. Er schaffte es ohne Facebook, Whatsapp, Instagram und andere Krücken, ganz auf sich und seine Kunst gestellt. Im Vergleich zu jenen Tagen, ist heute alles langweilig und dröge. Schade. Gerne versichern wir uns, wie glücklich wir waren, dies alles relativ unbeschwert und voller Neugier erleben zu dürfen. Das ließe sich höchstens noch durch eine ordentliche Wiedergeburt steigern.
Nicht wahr, Rudi? Nachdem nur dieses komplette Buch Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, und nicht eine Ansammlung von ganz persönlichen Fußnoten, springen wir jetzt in die Neuzeit. Rudolf L. Reiter 40 Jahre danach. Aus dem schwarzen ist ein weißer Bart geworden. Er spricht immer noch sein breites, hintergründiges Bayerisch, versteckt vieles, was er eigentlich sagen will, zwischen den Sätzen. Indem er die Aussage dann gleich wieder verneint, also zurückzieht, macht er sie nicht ungesagt. Dass muss jeder wissen, der mit ihm zugange ist – „Reiterologen“ eingeschlossen. Von denen gibt es inzwischen mehr als genug.
„Der Reiter“, das ist immer noch seine Lieblingsvokabel, hat Schicksalsschläge hinter sich, die keiner leicht wegsteckt. Der Tod von Hilde im Jahr 2009, danach 2016 schwere Herzprobleme. 16 Wochen in der „Anderswelt“ unserer Krankenhäuser, zwei Notoperationen. Der Tag, an dem sein Atelier verbrannt ist. Das spurlose Verschwinden seiner Torfpyramide am Münchner Flughafen, die im Mittelpunkt einer weithin beachteten Kunstaktion gestanden war. Nun spricht er wieder verstärkt über die „Wunden meiner Seele“, konzentriert sich auf neue Werke im abstrakten Impressionismus. Eine interessante Wandlung, weg von der Romantischen Moderne.Reiter ist gläubiger geworden, und auch politischer. Das ist kein Widerspruch, obwohl die Trennung beider Welten auch für ihn einst glorreich erkämpft wurde. Die Klammer dazu ist wohl in seinem konservativen, altbayerischen Weltbild zu finden. Er glaubt an ein höheres Wesen, das er „Schöpfer“ und „Herrgott“ nennt. Im gleichen Atemzug erkennt er die Existenz von Sekten und ähnlichen Gemeinschaften an. Trotzdem sollte in jedem öffentlichen Raum ein Kreuz hängen, die Religion nicht verunglimpft werden. Reiter hat Vorträge gehalten, bei den Rosenkreuzern und den Freimaurern. Das hat ihm noch mehr Parallel-Welten aufgezeigt. Und es hat sein Weltbild er-weitert. Rudolf L. Reiter hatte sein Leben lang Angst, meistens um seine Familie. Aber auch um solche, die in seinen Augen irgendwie dazugehörten. Das konnte ihm keiner nehmen. Wenn er gezwungen war, seine entgegen. Das Gemälde wirkt fast lebendig in seiner farbintensiven Bewegtheit. Der Künstler benützt eine Palette, die offenbar nur aus dem silbernen Alu-Grund, rot, blau und schwarz und etwas pink besteht. Dazu kommt das ungemischte helle Gelb in der obersten Farbschicht und erscheint wie ein Kontrapunkt oder ein gesprächiger Gegenpol des Vorangegangenen.Erst im Rückblick wird deutlich, wie sehr Aktuelles mit Altem verknüpft ist, gleichzeitig, wie anders es sich darstellt. Reiter hatte stets mit reduzierter Palette gearbeitet. Man denke an die Arbeit mit den Psychiatrie-Patienten in Dresden-Oberloschwit